Dienstag, 2. Juli 2024

4 Krankheiten und eine Armbanduhr

Vor 7 Jahren ging Alexander Hüttenhofer, Direktor des Instituts für Genomik und RNomik der Medizinischen Universität Innsbruck, seine Armbanduhr richtig auf den Zeiger. Rückblickend hat der unzuverlässige Zeitmesser zur genetischen Klärung von 4 Seltenen Krankheitsbildern geführt.

Alexander Hüttenhofer im Labor - Foto: © med uni innsbruck

Bei einem seiner vielen Besuche wegen der Reparatur der Uhr hatte der Nordtiroler Uhrmacher, Hüttenhofer von seiner damals 8-jährigen Tochter erzählt, die nicht laufen konnte, nicht sprach und Symptome von Autismus zeigte. Diese Eigenschaften erinnerten Hüttenhofer zum Teil an das Prader-Willi-Syndrom (PWS), das bei 1:15.000 Neugeborenen auftritt.

Ein Schritt zurück: Im Jahr 2000 hatte sich Hüttenhofer als Projektleiter am Deutschen Humanen Genom Projekt in Münster erstmals mit der Identifizierung von nicht-Protein-kodierenden RNAs (ncRNA) auseinandergesetzt. ncRNAs schalten einzelne Gene ein oder aus und regeln damit deren Proteinproduktion. Hüttenhofer entdeckte damals 3 ncRNAs, die er HBII-13, HBII-52 und HBII-85 nannte.

Im Jahr 2008 identifizierten Wissenschafter die genetische Ursache des Prader-Willi-Syndroms (PWS). Den Betroffenen fehlt meistens ein ganzer Chromosomenabschnitt – und auch die Gene für die ncRNAs HBII-13, HBII-52 und HB-85. Bei weiteren PWS-Patienten stellte sich später heraus, dass ihnen nur die inzwischen in SNORD116 umbenannte HBII-85 RNA fehlte und dieses Fehlen für die PWS-Symptomatik verantwortlich ist. „Das war das erste Mal, dass man gesehen hat, dass eine ncRNA auch eine Krankheit verursachen kann“, erklärt Alexander Hüttenhofer.

Mutation im MAGEL2 Proteingen gefunden

Als er Jahre später vom Uhrmacher die Beschreibung der Symptome der Tochter hörte, überzeugte er mit Unterstützung des Genetikers Andreas Janecke und Kinderklinik-Direktor Thomas Müller, Eltern und Kind genetisch untersuchen zu lassen. Bei der Tochter wurde eine Mutation im sogenannten MAGEL2 Proteingen gefunden, das zu ähnlichen Symptomen wie PWS führte und das in unmittelbarer Nähe zum SNORD116 Cluster lag. Bei der Tochter fehlte also nicht das SNORD116 Gencluster selbst wie beim Prader-Willi-Syndrom, sondern es gab eine Mutation im MAGEL2 Gen. Die MAGEL2 Mutation wurde später nach seinen Entdeckern Schaaf-Yang-Syndrom (SYS) genannt.

Die Arbeitsgruppe konnte aufzeigen, dass nur ein funktionales MAGEL2 Protein in der Lage war, ausrechend SNORD116 RNA zu produzieren. Im Laufe des Projekts entdeckte das Team auch Zusammenhänge der MAGEL2 Mutation mit 2 weiteren Seltenen Krankheiten: dem Fragile-X-Syndrom (FXS), das u. a. als Symptomatik auch Autismus zeigt und der Spinalen Muskelatrophie (SMA). Damit konnte der Zusammenhang zwischen 4 unterschiedlichen Seltenen Erkrankungen hergestellt werden.

Das Fachmagazin „American Journal of Human Genetics“ veröffentlichte nun die Forschungsarbeit, an der neben weiteren inneruniversitären Einrichtungen am Innsbrucker Biozentrum, die Univ.-Klinik für Pädiatrie I Innsbruck, eine Arbeitsgruppe der Leopold-Franzens-Universität sowie Heidelberger Forscher beteiligt waren.

stol

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