Helden in der Faschistenzeit
Denken wir an die Faschisten, die die deutsche Sprache verboten und das Deutschtum damit vernichten wollten. Kanonikus Michael Gamper stand auf und fragte: „Was soll nun geschehen? Sollen wir mit dem Verlust der deutschen Sprache auch das deutsche Volkstum verlieren? Möge es unser Volk zu verhindern wissen! Nun müssen wir es den ersten Christen nachmachen.“ Er begründete die sogenannte Katakombenschule und organisierte den Widerstand gegen die Faschisten.
Alle Lehrer und Lehrerinnen, die in diesen „Schulen“ unter größter persönlicher Gefahr tätig waren, sind meine Helden, allen voran Josef Noldin, der auf die Insel Lipari verbannt wurde und nach seiner Rückkehr starb. Ein weiteres Opfer war die Lehrerin Angela Nicoletti, die mehrmals verhaftet, unter Polizeiaufsicht gestellt, dann ausgewiesen wurde und 1930, erst 25-jährig, starb.
Helden in der Nazizeit
In mancher Beziehung (lebens-)gefährlicher war die Nazizeit, vor allem, wenn man „Dableiber“ war. Der führende Kopf war auch hier wieder der Kanonikus, der im wahrsten Sinne des Wortes unter Einsatz seines Lebens fürs Dableiben kämpfte. In zahlreichen Beiträgen erinnerte er seine durch die Nazipropaganda fanatisierten Landsleute daran, wie stark sie und ihre Vorfahren mit dem Land, ihren Höfen und Häusern verbunden waren. Unermüdlich wanderte er von Gemeinde zu Gemeinde, von Hof zu Hof, um die Menschen auch persönlich davon zu überzeugen, dass Hitler-Deutschland keine Rettung, sondern nur Verderben brächte.
Sehr viele Gleichgesinnte hatte er nicht. An seiner Seite standen seine Nichte Martha Flies, die Gebrüder Erich und Walther Amonn, Friedl Volgger, Rudolf Posch, Josef Ferrari, Baron Sternbach und Josef Raffeiner. Sie stehen stellvertretend für die kleine Gruppe der entschlossenen „Dableiber“. Einige mussten fliehen, andere landeten im Konzentrationslager. Allesamt Helden für mich.
Helden in der Nachkriegszeit
Auch in den ersten Nachkriegsjahren gibt es Helden. An erster Stelle steht für mich Erich Amonn, der am 8. Mai 1945 zum Gründer der SVP wurde.
Amonn wurde am 28. Juni 1896 in Bozen als Sohn einer angesehenen Kaufmannsfamilie geboren. Er diente im Ersten Weltkrieg und führte dann zusammen mit seinem Bruder Walther die bereits 1913 übernommene Firma Amonn (Produktion und Vertrieb von Farben, Handelsbereiche Papier, Hotelbedarf) zu einer ansehnlichen Größe. Als Unternehmer arrangierte er sich mit den Faschisten, war aber ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Und von daher ein überzeugter Dableiber. Anfang 1945 wurde er als „Präsident des Anti-Nazi-Komitees“ geführt.
1948 erläuterte er die Gründe für seine Initiative im Mai 1945. Er habe sich dazu keineswegs mit der Absicht entschlossen, sich dauernd und ausschließlich der Politik zu widmen, sondern „nur aus dem Grunde, weil im damaligen kritischen Moment des Zusammenbruchs eines unheilvollen Systems die zwingende Notwendigkeit vorlag, unser führerlos gewordenes und infolge der unglücklichen Ereignisse des Jahres 1939 und der folgenden Jahre in sich gespaltenes Volk zu sammeln, es wieder geeint um unsere alte Fahne zu scharen, um dadurch das Bestmögliche aus der gegebenen, sehr undurchsichtigen Situation herauszuholen“.
Am Ende dieses für Südtirol so wichtigen 8. Mai gab es die neue Partei. Erich Amonn wurde zum Obmann gewählt, der Burggräfler Bauer Josef Menz-Popp, ehemaliger christlich-sozialer Landtagsabgeordneter, wurde sein Stellvertreter, der junge Toni Ebner Sekretär. Friedl Volgger stieß sofort nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager Dachau dazu und wurde zum Organisationsleiter bestellt.
Die Parteigründung war die logische Fortsetzung einer bereits in den Kriegsjahren begonnenen diesbezüglichen Tätigkeit der „Dableiber“, allen voran Erich Amonn und Kanonikus Michael Gamper. Schon Ende 1942war es Amonn gelungen, unter einem Vorwand nach Zürich zu reisen, wo er einen Vertrauensmann des US-State Department über die Option aufklären konnte, was diesen zu der Äußerung veranlasste: „Ich sehe, dass das, was sich in Südtirol im Jahre 1939 abspielte, eine Tragödie war. Es muss aber unbedingt alles geschehen, um die alliierten Regierungen aufzuklären, da ohne eine entsprechende Aufklärung die Option der großen Mehrheit des Südtiroler Volkes für das Dritte Reich als ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus aufgefasst werden muss.“(Genauso argumentierten später die Italiener, allen voran Alcide De Gasperi)
Nach diesem Gespräch verfasste Amonn in Zürich ein Memorandum, das die Alliierten erreichte. Bereits damals, so Amonn im März 1946 als Rechtfertigung gegenüber Generalvikar Pompanin,
Nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 kam auf dem Ritten eine Gruppe Südtiroler Widerstandskämpfer zusammen – u.a. Amonn und Kanonikus Gamper –, um mit Blick auf ein mögliches Ende des Krieges vorbereitende Maßnahmen zu treffen. Beim Einmarsch der Wehrmacht am 9. September wurde Gamper zum Volksfeind Nummer eins erklärt. Ende Oktober gelang ihm die Flucht nach Florenz, wo er das Memorandum „Südtirol – ein Problem des Friedens“ verfasste, das die Alliierten erreichte und dessen Leitlinien die SVP übernahm.
Primäres Ziel der Partei war es, ihre Organisation zu stabilisieren und auszubauen. „Vor allem mussten wir die Kluft zwischen Dableibern und Optanten schließen“, so Friedl Volgger 1984. Er und Toni Ebner waren mit Fahrrad und Auto rastlos unterwegs, um in den Dörfern Bezirks- und Ortsvertretungen zu bilden.
Die Forderung nach Selbstbestimmung für Südtirol wurde dabei in den folgenden Wochen und Monaten das entscheidende Ziel der SVP, aber auch des wiedererstandenen Österreich. Machtvolle Demonstrationen in Wien und Innsbruck unterstrichen diese Forderung. Die bis dahin größte Demonstration in der Geschichte Südtirols gab es am 5. Mai 1946 auf Schloss Sigmundskron mit 25.000 Teilnehmern. Hauptredner war Erich Amonn. In einem „Bericht von Unbekannt“ heißt es dazu: „Seine Ausführungen, die oft von stürmischem Beifall unterbrochen wurden, gipfelten in der Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht und der Freiheit und Einigkeit Tirols.“ Als Amonn seine Rede mit den Worten „Herr, mach uns frei!“ beendete, gab es nicht enden wollenden Beifall und die Massen sangen gemeinsam das Andreas-Hofer-Lied.
Umso größer war die Enttäuschung, als die Alliierten 1946 definitiv die Brennergrenze bestätigten: Südtirol würde bei Italien bleiben. Österreichs Außenminister Gruber akzeptierte das britische Angebot nach Teilung des Landes, Kanonikus Gamper und Amonn lehnten es massiv ab. Amonn: „Ein tödlicher Schlag.“
Für viele Südtiroler war auch das Gruber-Degasperi-Abkommen vom September 1946 (Pariser Vertrag) eine Enttäuschung. Da Amonn bei dessen Umsetzung von Wien keine Hilfe erwartete, formulierte er seine Strategie so: „Ohne fremde Hilfe die Italiener überreden, Vernunft anzunehmen.“ Er war davon überzeugt, wie es an anderer Stelle heißt, dass „scharfsinniges Verhandeln und Diplomatie bessere Waffen wären als ein nutzloser Kraftakt“. Aber der Ton wurde schärfer, als Erfolge ausblieben. Wieder war es der Kanonikus, der auf die Gefahr hinwies: 1953sprach er von einem
Auf der Landesversammlung der SVP 1957 war es dann so weit: Die „Moderaten“ wurden entmachtet. Wie das geschah, war allerdings kein Ruhmesblatt der Partei. Erich Amonn, der altgediente elde statesman der SVP, wurde „nach den Jahren selbstloser Arbeit für Heimat und Volk rücksichtslos und kalt lächelnd torpediert“, wie die Vertreter der Bozner Kaufmannschaft das später kritisierten. Für den neuen Obmann Magnago, der jahrelang als Abgeordneter und Landtagspräsident die Politik Amonns unterstützt hatte, war Amonn jetzt „ein Mann der Vergangenheit“.
Die Forderung der SVP lautete von nun an „Los von Trient!“, während in Nordtirol sogar die „vollständige Rückgliederung“ Südtirols als „Endziel“ ausgegeben wurde. Um Amonn wurde es still. Als er am 19. November 1970 nach langer Krankheit starb, erinnerten sich nur die wenigsten daran, dass er 1945 in schwierigen Zeiten jene Partei gegründet hatte, ohne die es das Südtirol von heute nicht geben würde. Für mich der erste Held nach 1945.
1961 werden Bomben geworden. In der Ablehnung von Gewalt zum Erreichen politischer Ziele – der Selbstbestimmung – kommen bei mir 2 weitere Südtiroler nahe an den Heldenstatus heran: Toni Ebner und Roland Riz. Für ihren Einsatz, die Partei auf den Weg der Verhandlung zurückzuführen, werden sie von der Parteiführung fallengelassen und zu einer Art persona non grata in Südtirol, mit Polizeischutz für die Ebner-Familie. In 2 ganztägigen Sitzungen der Partei im Oktober 1961 wird über sie „Gericht gehalten“. Die Protokolle sind lesenswert, ihre Verteidigung überzeugend. Und dann wird der brillante Riz am Ende doch wieder dringend gebraucht: als Obmann der Partei und Verhandlungsführer zur „Streitbeilegung“ 1992. Es gibt also doch nicht nur einen Helden in Südtirol.
Zur Person: Rolf Steininger war langjähriger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.