Das erste Drittel namens „The Death of R.M.F“ dreht sich um einen Mann (Plemons), dessen Leben durch seinen Chef (Defoe) bis ins Kleinste bestimmt wird, als eine Art Darsteller seiner selbst in einem fremden Drehbuch. Als er einen anderen Menschen töten soll, bricht er aus seiner Rolle aus. In „R.M.F. is Flying“ bangt ein Ehemann (Plemons) um seine bei einem Absturz verschollene Frau (Stone). Als sie wundersamerweise zurückkehrt, glaubt er nicht, dass sie es wirklich ist und fordert sie mit makabren Liebesbeweisen heraus. Im Abschlussfilmchen „R.M.F. Eats a Sandwich“ – dem besten der 3 – ist ein Duo (Plemons und Stone) im Auftrag zweier Sektenführer (Defoe und Chao) unterwegs, um einen weiblichen Messias zu finden, der heilende Kräfte hat.
Alle Teile dieses Triptychons haben ihre eigene Faszination. In allen tritt recht offen eine Allegorie zu Tage. Wie ein romantisches Märchen von E. T. A. Hoffmann oder eine Kafka-Geschichte ist sie zugleich glasklar erzählt und dennoch rätselhaft in ihrer Bedeutung. Ein Doppelgänger seiner selbst, eine Doppelgängerin des veränderten, geliebten Menschen und die Suche nach messianischen Zwillingen machen diese Geschichten zur Fundgrube für Oberstufen-Textinterpretationen – wären sie ein wenig jugendfreier. Denn Lanthimos folgt dem von ihm selbst mitgetragenen Trend gegen die Prüderie im amerikanischen Kino.
Sexualität ist auch hier wieder Quelle der Irritation. Überhaupt scheint es Lanthimos Hauptziel zu sein, das Publikum vor den Kopf zu stoßen, auf humorvolle und leichtfüßige Weise. Oder in den eigenen Worten des im Moment angesagtesten Hollywood-Imports: „Ich nehme eine Situation, in der ich extreme Bedingungen erforsche und sehe, wie die Menschen reagieren. Das verrät eine Menge über die menschliche Natur. Ich versuche, die Dinge anzuzapfen, die sich in unserem täglichen Leben nicht bewusst zeigen, und zu sehen, was unter der Oberfläche liegt.“ „Kind of Kindness“ ist eine dreifache Fingerübung, die Lanthimos-Fans als Rückkehr zu seinen Anfängen in der „Greek Weird Wave“ verorten. Doch der Erfolg seiner vorherigen Filme hat auch dazu geführt, dass die produktiven Einschränkungen gefallen sind.
Alle 3 Kurzfilme sind zu lang geraten, insgesamt kommt „KoK“ auf stolze 164 Minuten. Das nimmt dem ganzen Projekt Energie und Spannung. Mehr Dichte würde den aberwitzigen Ideen zu mehr Kraft verhelfen. Spaß macht diese dreifache Seltsamkeit aber allemal.
Von Marian Wilhelm
Termin:„Kinds of Kindness“ ist im Filclub und im Cineplexx Bozen zu sehen. Am Montag 24. Juni um 20.30 im Filmclub auch in englisch Originalfassung.